🇩🇪 Auf der Gitarre kann man jede Melodiesequenz und jeden Akkord an mehreren verschiedenen Stellen auf dem Griffbrett spielen. Der erstbeste Fingersatz, der Dir beim Lesen der Noten einfällt, wird meist ein Fingersatz am äußeren Ende des Griffbretts sein, dort, wo man auch die ersten Akkorde auf der Gitarre zu spielen und die ersten Noten zu lesen lernt. Um sich die Melodie eines Stückes einzuprägen, kann er erstmal sehr nützlich sein. Doch der erstbeste wird meist nicht der bestmögliche Fingersatz sein.
Der erste Schritt ist die Erkenntnis, dass es verschiedene mögliche Fingersätze überhaupt gibt. Der zweite Schritt ist bei jedem Stück, die verschiedenen Fingersätze auf dem Griffbrett zu suchen und auszuprobieren. Schreibe Deine eigenen Ideen auf, suche immer mehr als eine Tabulatur aus dem Internet heraus und/oder schaue Dir verschiedene Videoaufnahmen Deines Übungsstücks auf YouTube an und versuche herauszufinden, ob die Spieler*innen bestimmte Stellen auf unterschiedliche Weise greifen.
Auf einen Fingersatz festlegen
Der dritte Schritt ist das Herausfinden und Festlegen des optimalen Fingersatzes. Dabei gilt es, allzu große und viele Sprünge auf dem Griffbrett zu vermeiden und möglichst längere Sequenzen in derselben Lage zu spielen. Wenn wenn Du das Stück auf die Dauer jedes Mal anders spielst, wirst Du es Dir nicht gut einprägen können.
Wenn Du Dir eine Tabulatur oder ein Notenblatt aus dem Internet heruntergeladen hast, in der oder dem jemand anders bereits einen Fingersatz für Dich notiert hat, muss das nicht notwendigerweise die bestmögliche Umsetzung sein. Meist erkennt man bei den Downloads nicht, wie professionell die Person Gitarre spielt, die sie im Internet zur Verfügung stellt.
Auf dem Notenblatt bedeutet übrigens die kleine Zahl zwischen 1 und 4 neben der Note, mit welchem Finger der linken Hand Du die Saite herunterdrücken sollst – die 1 meint den Zeigefinger, die 4 den kleinen Finger und die 0 meint, dass Du eine leere Saite anschlagen sollst. Eine eingekreiste Zahl meint die Saite, auf der Du die Note suchen und spielen sollst, wobei z.B. eine eingekreiste 3 die G-Saite wäre und eine eingekreiste 4 die D-Saite. Die Buchstaben p, i, m und a signalisieren, ob Du die Saite mit Daumen (p), Zeige-, Mittel- oder Ringfinger (a) der rechten Hand anschlagen sollst.
Erst verstehen, dann ändern
Wenn Du nach einem Fingersatz spielst, der von jemand anderem notiert wurde, und Dir für eine bestimmte Stelle ein vermeintlich besserer Fingersatz einfällt, versuche trotzdem zuerst zu verstehen, warum der andere Gitarrist seine Variante gewählt hat. Besonders wenn er ein Profi ist. Denn er wird das aus bestimmten Gründen getan haben. Vielleicht ist die konkrete Stelle mit seiner Variante zwar schwerer zu greifen, aber die Vorbereitung des nächsten Taktes gelingt damit besser. Vielleicht ist der Klang in dieser Lage besser als in einer anderen. Erst wenn Du die Hintergründe verstanden hast und Deine Variante trotzdem besser findest und begründen kannst, lege Dich darauf fest.
Kein Zufall, kein Bauchgefühl
Absolut nichts an einem guten Fingersatz geschieht zufällig. Jede Position hat ihren tieferen Sinn und wird aus guten Gründen gewählt. Das gilt nicht nur für die Lage, in der Du eine bestimmte Melodie spielst, sondern auch für den konkreten Finger, den Du für jeden konkreten Ton verwendest. Solltest Du ihn besser mit dem Ringfinger oder dem kleinen Finger der linken Hand greifen? Die Antwort sollte nicht Dein Bauchgefühl oder der Zufall liefern, sondern eine messerscharfe Analyse des Notenblatts und ein nüchterner Vergleich verschiedener Spielweisen.
Es gibt nicht den einzig richtigen Fingersatz, der für jede*n passt. Es gibt ungünstige und günstigere Varianten. Oft aber auch zwei, die beide Sinn ergeben und gespielt werden können. Meist haben sie unterschiedliche Vor- und Nachteile. Zum Beispiel: Bei Variante 1 klingt der Melodieton länger nach und erlaubt ein schönes Legato zum nächsten Melodieton. Sie ist aber schwieriger. Vielleicht steht sie dir mit Deinen Fähigkeiten noch nicht zur Verfügung, weil Du die Fingerspreizung noch nicht ausführlich genug trainiert hast.
Bei Variante 2 ist das vorausschauende Umgreifen einfacher und die Wahrscheinlichkeit, dass Du die Stelle sauber gegriffen bekommst, größer. Aber die Melodie leidet ein bisschen. Nun musst Du entscheiden: Was ist Dir wichtiger? Wie weit bist Du mit dem Studium des Instruments, traust Du Dir die schwierigere Variante schon zu, beziehungsweise hast Du genug Motivation, sie Dir als Ziel zu setzen?
Sitzt jeder einzelne Übergang zwischen zwei Noten?
Wenn Du mit einer „schwierigen Stelle“ nicht weiterkommst, liegt das meist daran, dass Du noch nicht den optimalen Fingersatz dafür gefunden hast. Übe jeden einzelnen Übergang zwischen zwei Noten separat, bis er sitzt. Also den Übergang von Note 1 zu Note 2, von Note 2 zu Note 3, von Note 3 zu Note 4. Setze die Finger bei jedem einzelnen Griffwechsel langsam und bewusst auf und prüfe, ob sie richtig gelandet sind – und ob der Fingersatz Sinn macht. Schlage, bevor Du die notierte Melodie spielst, zunächst jede Saite einzeln an: Klingt jede Saite klar? Fühlt sich der Griff stabil an? Bildet er eine gute Ausgangsposition, um den nächsten notwendigen Griff ohne große Handbewegungen zu erreichen?
Wenn auch nur eine der drei Fragen mit nein beantwortet werden muss, sind entweder die Finger trotz eines grundsätzlich guten Fingersatzes falsch gesetzt und Du solltest Dir die Profitipps für die linke Hand und die Profitipps für die rechte Hand durchlesen. Oder eben der Fingersatz ist grundsätzlich noch nicht optimal. Wenn die Finger beim Umgreifen von Note 1 zu Note 2 ungenau oder ungünstig landen, wird das Umgreifen von Note 2 zu Note 3 schon schwieriger als nötig werden und spätestens das Umgreifen von Note 3 zu Note 4 völlig schiefgehen. Nur wenn Dir für jeden einzelnen Notenwert überhaupt bewusst ist, wie die Finger perfekt landen müssten, um die richtige Melodie, einen guten Klang und die bestmögliche Ausgangsposition für die nächste Sequenz zu erreichen, besteht eine Chance, dass sie irgendwann auch tatsächlich perfekt landen! Und zwar in jeder einzelnen Position.
Spielst Du vorausschauend?
Ein guter Fingersatz wird vorausschauend entwickelt. Nicht nur die unmittelbar bevorstehenden, sondern auch die übernächsten Töne werden beim Greifen mitgedacht und vorbereitet. Wenn man erstmal beginnt, das vorausschauende Spiel zu trainieren, ist da erstaunlich viel möglich! Und die Vorteile sind bestechend. Du sparst Zeit beim Umgreifen. Du gliederst das Stück in Sequenzen, die sich gut auswendig lernen lassen. Anstatt bei jeder einzelnen Note wieder vor der großen Frage zu stehen, wie Du sie am besten anpackst. Dein Klang wird beim vorausschauenden Spiel viel ebenmäßiger und „mehr Legato“ sein. Die Klangfarbe der einzelnen Töne wird ähnlicher werden, wenn Deine Finger nicht jedes Mal aus der Luft auf die nächste Saite stoßen, sondern schon vorbereitet sind.
Bei einem guten Fingersatz gibt es tatsächlich nur sehr wenige Stellen, wo ein radikales Umgreifen von einer zu einer völlig anderen Position notwendig ist, weil es sich einfach nicht anders lösen lässt. Meist gibt es dagegen einen „Leitfinger“, der nur auf derselben Saite verrutschen muss und die anderen Finger mitführen kann, oder zwei Finger, die auf derselben Saite gleichzeitig gesetzt werden können, damit mehr Stabilität und beim Entfernen des einen Fingers ein schönes Legato zum nächsten Melodieton entsteht.
Etwas Erstaunliches wird passieren
Durch das Ausprobieren verschiedener Fingersätze lernst Du nach und nach, die Noten nicht nur in der ersten Lage, sondern auf dem gesamten Griffbrett zu finden. Das geht von ganz alleine – Du brauchst dazu keins der Diagramme aus dem Internet auswendig zu lernen, in denen die Notennamen für alle Positionen auf dem Griffbrett eingetragen sind.
Irgendwann wird Dir etwas ganz Erstaunliches passieren: Du wirst ein Stück beginnen, nach dem festgelegten Fingersatz zu spielen, und an irgendeiner Stelle werden Deine Finger von ganz alleine daraus „ausbrechen“ und einen anderen Weg gehen. Sie werden wie von selbst einen besseren Fingersatz für die Stelle finden, wissen wo die Melodie auf dem Griffbrett auch noch zu finden und einfacher zu greifen ist, ohne dass Du darüber nachdenken musst. Und glaub mir – das fühlt sich einfach großartig an!