🇩🇪 Zunächst einmal brauchen die Finger der rechten Hand soliden Kontakt zu den Saiten. Wer zu vorsichtig zupackt, spielt zu leise und kommt sicher alsbald auf die Idee, nur mit langen Fingernägeln, Plektrum oder gar Finger Picks richtig Gitarre spielen zu können. Man kann aber aus einer Konzertgitarre auch mit kurzen Fingernägeln und ohne Plektrum volle, wunderschöne Töne herausholen. Beziehungsweise ist genau das die richtige Technik, um sie zu spielen. Alles andere sind erweiterte Spielmethoden, die später ins Repertoire aufgenommen werden können, wenn die Grundlagen sitzen.
Platziere also Zeige-, Mittel- und Ringfinger mit den Fingerkuppen von oben auf den Saiten (anstatt die Finger von unten einzuhaken und die Saiten von unten nach oben zu ziehen). Drücke die Saiten so tief herunter, dass sie die Kante des Griffbretts berühren, bevor Du sie zupfst. Zupfe schräg nach hinten weg, sodass die Saiten ihre Position nicht verändern, wenn die Finger loslassen.
Fortgeschrittene achten darauf, dass sie die Bass- und Melodietöne lauter (besonders tief heruntergedrückte Saiten), und die Fülltöne leiser spielen (kaum heruntergedrückte Saiten). Und dass, wenn eine Basssaite und eine Melodiesaite auf demselben Notenwert angeschlagen werden sollen, die beiden Saiten wirklich exakt gleichzeitig angeschlagen werden. Soweit die Grundregeln. Doch um nun einen wirklich schönen Klang aus der Gitarre herauszuholen, ist monatelange Kleinarbeit an folgenden Faktoren nötig.
1. Triffst Du die Saiten mit der richtigen Stelle an der Fingerkuppe?
Ein halber Millimeter auf der Fingerkuppe kann den Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem fantastischen Gitarrenklang ausmachen. Es sind viele Übungseinheiten und viel Ausprobieren notwendig, um für jeden Finger die richtige Stelle an der Kuppe überhaupt erstmal zu finden und die Finger dann so zu trainieren, dass die Saiten diese Stelle auch zuverlässig treffen. Besonders der Ringfinger der rechten Hand macht es einem da nicht leicht.
Tendenziell ist die richtige Stelle, an der die Saiten auf die Fingerkuppen treffen sollten, nah an der Unterseite der Fingernägel zu finden. Es hilft, die Finger anstatt parallel nebeneinander etwas versetzt hintereinander aufzusetzen, sodass sie sich enger aneinander schmiegen. Insbesondere der Ringfinger findet so besser seine Position.
2. Ist Deine rechte Hand insgesamt und jeder einzelne Finger im richtigen Winkel zu den Saiten ausgerichtet?
Der richtige Winkel der Finger kann variieren, je nachdem, was man spielt. Manchmal ist eine eher halbrunde, krallenartige Position der rechten Hand sinnvoll und Zeige-, Mittel- und Ringfinger spielen auf den Daumen zu. Manchmal – z.B. für ein Arpeggio – treffen die Finger besser im 90-Grad-Winkel auf die Saiten auf und der Daumen macht etwas abgespreizt mehr Platz für die anderen Finger.
Beim „Bürsten“ mehrerer hoher Saiten gleichzeitig liegen zwei oder drei Finger der rechten Hand nebeneinander und eher schräg an. Auch hier hilft es, die Finger leicht versetzt hintereinander aufzureihen, um sie zu einer noch engeren Einheit zu verschmelzen, die absolut gleichzeitig und mit vereinter Kraft auf die Saiten auftrifft. Wenn nur Zeige- und Mittelfinger zusätzlich zum Daumen gefragt sind, hilft es, sich vorzustellen, dass man die Hand zu einer Pistole formt, um die richtige Haltung zu finden.
Beim Zupfen einzelner Seiten bewegen sich Daumen und Ringfinger eher von außen nach innen (aufeinander zu), Zeige- und Mittelfinger eher in einer Linie mit dem Arm. Die Finger müssen also für einen optimalen Klang in unterschiedliche Richtungen zupfen!
3. Stehen die Finger durchgedrückt und gerade auf den Saiten?
Für einen guten Klang müssen Zeige-, Mittel- und Ringfinger ziemlich lang gemacht und annähernd durchgedrückt werden. Die Zupfbewegung erfolgt aus dem Gelenk direkt am Handteller (der gesamte Finger wird dabei bewegt) und nicht aus dem Mittelknöchel. Eine zu runde Position und ein Bewegungsimpuls nur aus dem oberen Fingerteil bringen nicht genug Krafteinwirkung auf die Saite, als dass sie wirklich schön klingen könnte. Führe die Zupfbewegung bis zum Ende aus. Zeige- und Mittelfinger bewegen sich so weit wie möglich Richtung Handteller durch und stoppen nicht bereits kurz nachdem sie die Saite berührt haben.
4. Zupfst Du auch nicht zu aggressiv, sondern kraftvoll, aber zärtlich?
Um einen guten Klang aus der Gitarre herauszuholen, müssen die Finger der rechten Hand intensiv arbeiten. Kraft, Druck und vollständig ausgeführte Bewegungsabläufe sind notwendig. Das darf aber nicht dazu führen, dass Dein Gitarrenspiel aggressiv oder angestrengt klingt. Kraft, Druck und Bewegung müssen wohldosiert eingesetzt werden. Sobald die Saite entsprechend gezupft wurde, sollte sich der Finger vollkommen entspannen und erst wieder Kraft aufbauen, wenn er das nächste Mal an der Reihe ist, einen Ton zu erzeugen. Dabei ist es wichtig, bewusst zu entscheiden, ob der Finger nach dem Zupfen in der Luft hängen bleibt (führt zu einer Vermischung der verschiedenen Töne) oder auf der nächsten Saite zum Liegen kommt (akzentuiert den eben angeschlagenen Ton).
Während die Bewegung nach dem Verlassen der Saite oft zu schnell stoppt und größer ausfallen könnte, um den Klang zu intensivieren, holen die Finger vor dem Anschlagen der Saite leicht zu weit aus. Oder sie beginnen zu „hüpfen“, was sich schnell zu einem sinnlosen Auf und Ab der Hand auswächst, und dadurch Energie zu verschwenden. Halte die Hand still und bewege nur die Finger auf sinnvolle Art und Weise.
Der Abstand zur nächsten Saite ist kürzer als man denkt. Sehr kleine Bewegungen reichen darum aus, um sie zu erwischen. Beziehungsweise sind sie sogar zwingend notwendig, um sie für den guten Klang mit der richtigen Stelle an der Fingerkuppe zu treffen. Je weiter sich die Finger von den Saiten entfernen (also ausholen), desto mehr Energie verschwendest Du in der Luft. Und desto mehr Zeit brauchst Du, um sie vor dem nächsten Zupfen wieder neu zu sortieren.
Eine Übung, die Dir hilft, Deine Zupfbewegungen zu verkleinern (ohne dabei oberflächlich zu werden und an Kraft zu verlieren), ist folgende. Stecke den Mittelfinger etwa einen halben Zentimeter tief zwischen zwei Saiten. Berühre zunächst die tiefere Saite mit der Fingerunterseite und dann die höhere Saite mit dem Fingernagel. Nun bewege Deinen Finger langsam an der höheren Saite aufwärts, sodass der Kontakt zwischen Fingernagel und Saite nicht verloren geht – bis die Fingerkuppe oben auf der Saite angekommen ist und sie schließlich zupft. So entwickelst Du ein Gefühl dafür, wie klein die ausreichende Bewegung nur ist.
5. Zupfen die Finger der rechten Hand in einem regelmäßigen, abwechselnden Rhythmus?
Sicherheit und Schnelligkeit beim Zupfen entsteht dadurch, dass die Finger wissen, was sie zu tun haben. Lege Dich auf ein Zupfmuster fest und bleibe dabei, anstatt es bei jedem Durchgang zu variieren und die Finger unkontrolliert durcheinander geraten zu lassen. Ein regelmäßiger, abwechselnder Rhythmus von Zeige- und Mittelfinger, manchmal ergänzt durch den Ringfinger, ist dabei sinnvoll.
Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn unregelmäßige Notenwerte, der Wechsel zwischen den anzuschlagenden Saiten und die Vorbereitung auf die nachfolgenden Töne machen es notwendig, den regelmäßigen Zupfrhythmus zu verlassen und nach sinnvollen Varianten zu suchen, die sich trotzdem gut einprägen können und möglichst wenig Fingerchaos verursachen. Auch das wiederholte Anschlagen derselben Saite kann die Finger der rechten Hand durcheinanderbringen: i, m, i, m oder a, m, i, a, m, i? Das ist hier die Frage. Probiere verschiedene Varianten aus, aber lege Dich dann unbedingt auf eine fest und bleibe dabei.
6. Spielst Du vorausschauend und bereitest die Finger der rechten Hand vor?
Der Profigitarrist denkt nicht in einzelnen Tönen, sondern in Gruppen von Tönen. Meist sind es Dreiergruppen, manchmal Zweier- oder Vierergruppen, die bereits komplett vorbereitet werden können und sollten, bevor der erste Ton der Gruppe angeschlagen wird. Das bedeutet, dass alle Finger für die nächsten drei Töne bereits aufgesetzt werden, bevor der erste von ihnen zupft oder in demselben Moment, in dem der erste von ihnen zupft. Das gilt nicht nur für die klassische Zupfabfolge Zeige-, Mittel-, Ringfinger, für die es am einfachsten umzusetzen ist. Auch wenn etwa der Mittelfinger zuerst arbeiten muss, wird der Zeigefinger bereits mit aufgesetzt. Dadurch gewinnen die Finger nochmals an Sicherheit und Geschwindigkeit, denn Kopf und Körper müssen sich nicht vor jedem einzelnen Ton an die nächsten notwendigen Bewegungen erinnern, sondern nur vor jeder Notengruppe.
7. Unterstützen Deine Fingernägel das Zupfen, anstatt es zu behindern?
Nicht allzu lang, sauber abgerundet und mit feinem Schleifpapier geglättet – so sollten die Fingernägel von Zeige-, Mittel- und Ringfinger der rechten Hand auf das Gitarrenspiel vorbereitet werden. Wenn die Saite nicht sanft und ungestört darüber gleiten kann, wird sie nicht schön klingen. Auch wenn manche Gitarrist*innen Panikattacken bekommen, wenn ein Fingernagel einreißt oder abbricht – ein*e gute*r (klassisch ausgebildete*r) Gitarrist*in braucht die Fingernägel nicht für einen vollen Klang. Den erzeugt er*sie mit der Fingerkuppe. Der Fingernagel dient nur als Ergänzung. Wer mit weniger Fingernageleinsatz gut Gitarre spielen kann, hat weniger mentalen Stress und hat es auch bei Audioaufnahmen leichter. Sie hören sich ohne das Kratzen der Nägel viel besser an und es muss dann nicht mit aufwändigen technischen Effekten entfernt werden.
8. Hast Du den richtigen Winkel für Dein rechtes Handgelenk gefunden?
Das rechte Handgelenk sollte eine Linie mit dem Arm bilden und nicht nach links oder rechts wegkippen. Die Hand sollte grundsätzlich einen hohen Bogen formen, sodass sie sich von oben und nicht von der Seite auf die Gitarre senkt. Die Schulter arbeitet dabei übrigens nicht mit. Das heißt, sie hängt entspannt herunter, anstatt sich zu verkrampfen oder nach vorne über die Gitarre zu bewegen.
Der perfekte Winkel, mit dem die rechte Hand auf die Gitarre trifft, verändert sich aber, je nachdem, welche Saiten und Rhythmen gezupft werden. Er ist z.B. flacher, wenn nahe beisammen liegende Saiten gezupft oder Bluesstücke mit Wechselbass gespielt werden und höher, wenn weiter auseinander liegende Saiten gezupft oder mehrere hohe Saiten gleichzeitig „gebürstet“ werden. Wenn der Melodieton mit dem Ringfinger gespielt wird und sich nicht schön anhört, hilft es oft, zu einem höheren Bogen der rechten Hand zurückzukehren.
9. Weiß Dein Daumen, was er tut?
Der Daumen der rechten Hand sollte die Basssaiten nicht mit der Daumenrückseite berühren und von sich wegdrücken. Stattdessen liegt die Unterkante des Daumens von oben auf der Saite, drückt sie zunächst senkrecht nach unten und verlässt die Saite im Rahmen einer Zupfbewegung nach schräg vorne und unten. So entstehen schöne, volle Basstöne.
Auch der Daumen spielt vorausschauend und weiß, ob er z.B. nach dem Zupfen der E-Saite gleich auf der A-Saite liegen bleiben kann, weil die A-Saite als nächstes angeschlagen werden muss, oder ob er sich direkt nach dem Zupfen der A-Saite schnell auf die E-Saite legen muss, um sie abzudämpfen, damit das A alleine weiterklingen kann.
Ein Anfängerfehler, der dem Daumen häufig passiert, ist, dass er sich nach dem Zupfen der Basssaite an den Zeigefinger anlehnt und dort „ausruht“. Das sollte nicht passieren. Zum Ausruhen und Halt Finden bietet sich viel besser die nächste zu spielende Basssaite an, an die sich der Daumen anlegen kann. Ansonsten müssen Daumen und Zeigefinger unabhängig voneinander frei beweglich sein und muss der Daumen manchmal auch geduldig in der Luft auf den nächsten Einsatz warten.
10. Hast Du die richtige Position über dem Schallloch gefunden?
Grundsätzlich entsteht der rundeste Klang, wenn die Finger der rechten Hand mittig über dem Schallloch oder sogar eher links von der Mitte (Richtung Gitarrenhals) auf die Saiten treffen. Es kann aber bewusst entschieden werden, von diesem Klang abzuweichen. Ein etwas kälterer, metallischerer, klarer abgegrenzter Klang für einen Melodieton auf einer hohen Saite kann z.B. am rechten Ende des Schalllochs erzielt werden. Eine interessantere und vielschichtigere Sortierung der Noten kann gelingen, wenn Bass- und Melodieton mit voller Intensität direkt über dem Schallloch gezupft werden, während die Begleitstimmen (Alt und Tenor) rechts neben dem Schalloch gezupft werden und dadurch leiser und flacher klingen.
Der Klang zählt
Zehn Profitipps für die rechte Hand hast Du nun mit auf den Weg bekommen, doch letztendlich lautet das Ziel nicht, sich in die Technik zu verbeißen, sondern einen wunderbaren Klang zu erzeugen. Alles, was hilft, diesen Klang zu erzeugen, hat seine Berechtigung. Die Chance ist groß, ihn eines Tages hervorzubringen, wenn Du die beschriebenen Tipps befolgst. Andererseits ist jede rechte Hand anders, jede Gitarre anders und es ist immer wieder Ausprobieren und Nachjustieren angesagt, bis Du weißt, wie es für Dich auf diesem oder jenen speziellen Instrument am besten funktioniert. Und nicht vergessen: Für den wunderbaren Klang Deines Gitarrenspiels ist nicht nur die rechte Hand, sondern auch die linke Hand mitverantwortlich.
Ein letzter Geheimtipp
Nicht zuletzt (Geheimtipp!) behelfen sich Profigitarristen mit dem Trick, die Finger einzufetten, um einen besonders guten Kontakt zu den Saiten zu garantieren. Mit trockener Haut an den Fingerspitzen spielt es sich nämlich gar nicht gut. Genauso wie der Profihandballer seine Hände mit Harz benetzt, um den Ball besser greifen zu können, schwört jeder Profigitarrist auf eine andere Art von Fettcreme, Lippenbalsam oder Vaseline, um die rechte Hand und ihre Finger geschmeidiger für die Saiten zu machen. Aber Achtung, der Effekt ist so stark, dass er süchtig machen kann! Nutze diesen wichtigen Trick für einen schöneren Klang, übe aber immer auch mit unbehandelten Fingern. Denn wenn Du unerwartet eine Gitarre zur Hand nimmst und Deinen Balsam nicht dabei hast, möchtest Du sie ja trotzdem gut bedienen können.
Bild: Gerhard Bögner auf Pixabay