Ich weiß nicht, ob das jemanden so im Detail interessiert, aber ich finde es unglaublich faszinierend, mir vor Augen zu führen, auf wie viele Einzelheiten der Fingerarbeit man in einem einzigen einseitigen (!) Gitarrenstück achten muss, um überhaupt die Chance zu haben, es fehlerfrei und klanglich schön durchzuspielen. Darum schreibe ich das heute mal für die Polka „Rosita“ von Francisco Tárrega auf. Vielleicht hilft es dir, das Stück zu meistern. Mir hilft das Aufschreiben auf jeden Fall, mir alles noch besser einzuprägen.
Teil 1 (Auftakt bis Takt 9)
Schon im Auftakt gibt es Wichtiges zu beachten: Und zwar solltest du den Daumen leicht rechts versetzt zum slidenden Zeigefinger mitführen, sonst gelingt der Slide vom ersten in den fünften Bund nicht sauber und du kommst ich einer ungünstigen Fingerposition für Takt 1 aus. Auch der linke Ellbogen sollte an der Körperseite liegenbleiben und beim Slide nicht mit „ausholen“. Das Ziel ist ein lockerer, verspielter Auftakt, kein angestrengt platzierter Effekt.
In Takt 1 und der ersten Hälfte von Takt 2 geht es darum, das hohe A als Melodieton dreimal deutlich zu betonen und lange klingen zu lassen, die Achtelnoten als zweite Stimme dagegen zwar sauber, aber weniger dominant anzuschlagen.
Den Sechzehntellauf in Takt 2 und 3 kannst du nur schaffen, wenn die Finger der linken Hand fest zudrücken, wenn der Daumen nicht zu weit unten an den Rücken des Gitarrenhalses fasst und wenn du beim Umgreifen von der ersten zur zweiten Takthälfte darauf achtest, das hohe Cis mit dem Zeigefinger bereits beim Spielen des hohen A auf der H-Saite vorzubereiten, also gleich mit zu greifen, und den Zeigefinger den restlichen Takt auf dem Cis liegenzulassen. Der Zeigefinger, der auf der hohen E-Saite vom hohen A auf das hohe Cis wechselt, ist also der Leitfinger. A und H werden auf der H-Saite gegriffen, Cis und D auf der hohen E-Saite.
Als besonderen Trick für die rechte Hand hat mir mein Gitarrenlehrer empfohlen, diesen Sechzehntellauf in der ungewöhnlichen Reihenfolge Zeigefinger (A), Daumen (H), Ringfinger (Cis), Mittelfinger (D), Zeigefinger (Cis) anzuschlagen – und das vereinfacht die Sache wirklich ungemein. Wenn man die anfängliche Fingerverwirrung überwunden hat, konsequent bei der Reihenfolge bleibt und ganz unbedingt den Ringfinger bereits vorbereitet (d.h. auf die hohe E-Saite aufsetzt), während man das A und H auf der H-Saite anschlägt.
Die Hammer-Ons in Takt 3 sind schwer, besonders da der Abstand zwischen den ersten beiden jeweils drei Bünde beträgt, während es beim dritten vier Bünde sind. Daran solltest du rechtzeitig denken und die Finger weiter spreizen, denn wenn du bereits zum Schlagen auf die Saite angesetzt hast, ist das nachträglich nicht mehr zu korrigieren. Die Hammer-Ons gelingen besser, wenn du dorthin schaust, wo der kleine Finger landen soll. Der kleine Finger sollte so fest wie möglich auf die Saite schlagen, jedoch darf er dabei nicht zu weit ausholen, denn dann geht zu viel Energie unterwegs verloren. Der feste Schlag auf die Saite sollte also aus sehr niedriger Höhe ausgeführt werden.
Für den Sechzehntellauf in Takt 6 gibt es verschiedene mögliche Fingersätze, die man ausprobieren kann, um denjenigen zu finden, mit denen es einem am besten gelingt, auf den Pull-Off in Takt 7 hinzuarbeiten. Ich bin noch unentschlossen, ob ich das Cis aus dem halben Barré im fünften Bund heraus mit dem kleinen Finger greife und dann direkt zum Pull-Off springe. Das hat den Vorteil, dass die Finger den gesamten Takt 6 einfach liegenbleiben können, aber den Nachteil, dass der kleine Finger unmittelbar hintereinander das dreigestrichene Cis greifen und das dreigestrichene Fis streifen muss.
Alternativ könnte ich einen Zwischensprung zum Cis unternehmen und es kurz mit dem Ringfinger antippen, um dann mit Mittelfinger und kleinem Finger den Pull-Off anzugehen. Da habe ich dann aber ebenen einen weiteren Schritt eingebaut, der gerne auch danebengeht (hilfreich ist es auf jeden Fall, den Daumen zweimal statt nur einmal zu versetzen, damit er immer in der idealen Position unterstützen kann). Ich sollte mich besser bald mal entscheiden, denn Unentschlossenheit ist nicht gut – so können keine Automatismen entstehen.
Der Pull-Off in Takt 7 kann nur gelingen, wenn du das hohe E mit dem Mittel- oder Ringfinger sehr feste herunterdrückst und das hohe Fis mit dem kleinen Finger richtig erwischst. Richtig bedeutet in diesem Fall: mit der Außenkante der Fingerkuppe, denn der kleine Finger neigt sich nach rechts außen. Damit das funktionieren kann, muss die gesamte linke Hand weit genug nach rechts geführt werden, sodass das hohe Fis bequem von unten gegriffen werden kann. Es reicht nicht, die linke Hand nur gerade eben weit genug nach rechts zu führen, um das hohe Fis zu erwischen.
Teil 2 (Takt 10 bis Takt 17)
Um den Sechzehntellauf in Takt 10 zu schaffen, solltest du mit der rechten Hand im hohen Bogen von oben senkrecht auf die Saiten greifen und feste drücken. Nur so haben die Finger genug Halt und Spielraum, um den vollen Lauf sicher zu absolvieren. Die zweite Hälfte des Laufs wird allerdings (auch wenn das gut ginge) nicht mehr im zweiten, sondern besser im fünften Bund gegriffen, um Takt 11 vorzubereiten. Ebenfalls aus Vorbereitungsgründen streckt sich der Zeigefinger bereits zum Barré, wenn der Ringfinger das G auf der H-Saite greift.
Eine Gefahr ist es an dieser Stelle, Energie durch allzu große Bewegungen mit der linken Hand und ihren Fingern zu verschwenden. Obwohl viel zu tun ist, bleib klein in den Bewegungen und immer nahe an den Saiten / am Griffbrett. Achte darauf, beim Sechzehntellauf nicht den linken kleinen Finger abzuspreizen und wie eine Satellitenantenne in alle Himmelsrichtungen auszustrecken. Er verbleibt stattdessen leicht gebogen Seite an Seite mit dem Ringfinger.
In Takt 11 solltest du das hohe A mit dem Zeigefinger bereits auf dem ersten Schlag mit dem H (kleiner Finger) mitgreifen, damit du dich auf der zweiten Achtelnote ausschließlich darauf konzentrieren kannst, Mittel- und Ringfinger auf Fis und D zu setzen. Dabei aber unbedingt darauf achten, dass die rechte Hand nicht nach links wegknickt. Takt 13 ist recht schwer, zwei gestreckte Finger mit einem Bund Abstand dazwischen und dann noch der kleine Finger auf dem D… da hilft nur dranbleiben, Kraft und Spreizung aufbauen, auch wenn es anfangs noch nicht gelingen mag.
Für den Sechzehntellauf in Takt 14 gilt das, was ich vorher schon für Sechzehntelläufe mit hohen Noten beschrieben habe (Takt 2 und 3), an dieser Stelle ist nochmal zusätzlich besonders darauf zu achten, dass das Ganze schön legato gespielt wird bis zum Ende der Sequenz in der Mitte von Takt 15.
Takt 16 mit Auftakt ist neben den Takten 3 und 13 eine der schwersten Stellen des Stückes, besonders auf einer klassischen Gitarre ohne Cutaway. Ein halber Barré im 10. Bund, der mit geradem, durchgedrücktem Zeigefinger gegriffen wird, hilft, ansonsten auch hier: von unten greifen.
Teil 3 (Takt 18 bis Ende)
Im Blogartikel „Mit dem Stück spielen, anstatt es bloß zu spielen“ hatte ich schonmal darüber geschrieben, wie man ein Instrumentalstück besser beherrschen lernt, indem man sich passende Lyrics dazu ausdenkt. Ganz egal, ob klassische Musik oder irischer Reel – der erfundene Text dient dazu, sich Rhythmen, Stimmungen oder Melodietöne einzuprägen. Den Fingern fällt es dann einfacher, das an der Gitarre umzusetzen.
Beim dritten Teil von „Rosita“ lässt sich diese Methode ganz wunderbar anwenden! Im Gegensatz zu den ersten beiden Teilen übernimmt hier nämlich plötzlich der Bass die Melodie. Mein Gitarrenlehrer hat das wunderbare Bild von einem in den ersten beiden Teilen übermütig tanzenden oder herumtobenden Mädchen beschrieben, das nun von einem Erwachsenen zur Raison gerufen wird. Und da ist mir gleich der folgende Text eingefallen, den ich mitsinge oder mir im Kopf vorstelle, während ich diesen Teil übe.
Ich will,
dass du jetzt
reinkommst!
Du kleines Früchtchen
kommst jetzt
rei-ein!
Nein,
ich
will noch weiterspielen,
denn
ich
bin noch längst nicht fertig!
Ich will,
dass du jetzt
reinkommst!
Du kleines Früchtchen
kommst jetzt
rei-ein!
Nein, ich
bleibe
draußen!
Und da kannst du
gar nichts
gegen
tun.
Natürlich gibt es über diesen spielerischen Ansatz hinaus auch für den dritten Teil von Rosita von Franciso Tárrega konkrete Tipps für die Finger. In Takt 18 und 19 (erste Hälfte) sowie Takt 20 und 21 sollte die rechte Hand Mittel- und Ringfinger für die Achtelnoten bereits vorbereitend mit auf die Saiten legen, wenn die akzentuierten Viertelnoten angeschlagen werden. Es werden also immer vier Anschläge (halbe Takte) vorbereitet / gleichzeitig gegriffen. Dabei darauf achten, dass die markierten Viertel auch akzentuiert gespielt und die Achtel als Begleitung verstanden werden. Der Erwachsene aus unserer Geschichte oben drängt sich hier in Form von zweimal drei gewichtigen Viertelnoten ins Bild. Man kann sich auch vorstellen, er würde dazu dreimal mit dem Fuß aufstampfen.
Die drei Sechzehntel in Takt 19 müssen unbedingt dieselbe Klangfarbe haben, um als Lauf wahrgenommen zu werden, und das gelingt möglicherweise (mir jedenfalls) besser, wenn man das G nicht auf der leeren G-Saite, sondern im 5. Bund der D-Saite anschlägt. Dann kommen bei mir auch die Finger in einer besseren Position für Takt 20 aus. In Takt 21 ist es wichtig, den Übergang vom akzentuierten Cis zu den beiden Hs möglichst legato hinzubekommen.
Takt 22 bis 25 machen unheimlich Spaß zu spielen. Lass den Ringfinger unangestrengt, aber schwungvoll gleiten und schau jeweils dorthin, wo der Slide enden soll, damit er dort auch wirklich endet. Begreife die Achtelnoten als eher zurückhaltende Begleitung. Bei den Sechzehntelläufen drücke mit den Fingern der linken Hand möglichst fest auf, führe die linke Hand weit genug nach rechts, um bequem von unten greifen zu können und setzen den linken Daumen nicht zu tief, um insgesamt einen guten Halt zu haben und den Lauf sicher spielen zu können.
In Takt 30 und 31 sind die Viertelnoten zwar nicht mehr akzentuiert notiert, dennoch bietet es sich aus Gründen der Symmetrie an, sie genauso zu spielen wie an anderer Stelle, sodass hier G, Gis und A beziehungsweise zugehörige D, F und E die führenden und möglichst lang klingenden Töne sind. Im Vergleich dazu sind die Viertelnoten in den letzten beiden Takten zwar immer noch als Melodietöne, aber eher wieder leichter anzusetzen, denn schau dir die ausgedachten Lyrics oben an: das Mädchen Rosita hat hier das letzte Wort (bevor es ins Da Capo geht) und nicht der schimpfende Erwachsene 😉
Titelbild: Jackson David auf Pixabay